Bordeaux Primeurs: Der Jahrgang 2020 - Eindrücke von Yves Beck
Weinwissen
Bordeaux Primeurs: Der Jahrgang 2020 - Eindrücke von Yves Beck
Drei grosse Jahrgänge nacheinander: Mit dem Bordeaux 2020 entsteht eine neue Trilogie. Trilogien sind im Bordelais selten, die letzte waren die Jahre 1988-1989-1990! Mit 2018, 2019 und 2020 folgen sich drei grosse Jahrgänge, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Der 2018 hat Charme, der 2019 ist frischer, und der 2020 zeichnet sich durch seine Ausgewogenheit und den geringeren Alkohol¬gehalt aus.
Zusammenfassung des Jahrgangs: → Über 700 mm Niederschläge zwischen dem 1. November 2019 und dem 31. März 2020, das sind 300 mm mehr als der Durchschnitt von 1989 bis 2019. → Durchschnittstemperaturen durchwegs über dem mehrjährigen Mittelwert. Bis zu 3,1°C über dem Durchschnitt während der ersten Februarhälfte. → Nur 6 Nächte mit nächtlichen Minustemperaturen gegen durchschnittlich 21 in den letzten 20 Jahren.
Historisch warmer Frühling folgt auf einen ebensolchen Winter → Temperaturen, die weit über dem historischen Mittelwert liegen. → Zwischen April und Juni gab es 135 mm mehr Niederschläge als sonst in diesem Zeitraum. Im Osten der Rive Droite und in der Region Entre-deux-Mers prasselten sie mitunter in Form zerstörerischer Hagelgewitter vom Himmel.
Landwirtschaftliche Auswirkungen → Wiederauffüllung der nützlichen Reserven des Bodens, was der Rebe normalerweise ermöglicht, den Sommer besser zu überstehen.
Ein trockener und kühler Sommer begünstigt das Wachstum der Trauben → Ende der Niederschläge ab Mitte Juni. Im Juli gibt es sozusagen keinen Regen. → Mittlere und maximale Temperaturen unter jenen des mehrjährigen Mittelwerts.
Landwirtschaftliche Auswirkungen → Dank den starken Niederschlägen im Winter und Frühling hatten der Regenmangel im Juni und Juli und die kühlen Temperaturen bei der Rebe keinen Wasserstress zur Folge. → Die Zellvermehrung ist gut, die Beeren wachsen. → Die Reife beginnt früh: Mitte Juli. Die Mitte der Reifezeit wird auf den frühesten Terroirs jedoch erst um den 25. Juli erreicht. Die Synthese der phenolischen Verbindungen in der Schale ist gut.
Qualitätsfördernde Reifungsphase und frühe Ernte → Die Reifezeit findet in einem überdurchschnittlich warmen Umfeld statt, sowohl bei den mittleren als auch bei den höchsten Temperaturen. Beachtenswert sind die ziemlich grossen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht, typisch für grosse Jahrgänge wie 2019, 2018, 2016, 2012, 2010 und 2009. → Der Rebberg ist lokalen Sommerstürmen unterschiedlicher Heftigkeit ausgesetzt (30 bis 120 mm Niederschlag), die den Wasserstress reduzierten, der im Juli eingesetzt hatte.
Landwirtschaftliche Auswirkungen → Die Regenfälle im August verzögerten zwar den trockenheitsbedingten Stress, hatten aber keinen Einfluss auf die Grösse der Trauben. Das heisse, trockene und windige Wetter ab Mitte August hatte eine deutliche Einbusse beim Beerengewicht und -volumen zur Folge. → Die hohen Temperaturen begünstigen die Synthese der phenolischen Verbindungen (Tannine und Anthozyane) in den Schalen und den Abbau der erdig-grasigen Aromen (Pyrazine) in den Cabernets. Die Trauben sind reich an Polyphenolen, und die Extraktionsfähigkeit ist gut. → Die besonders grosse Temperatur-Bandbreite wirkte sich günstig auf den aromatischen Ausdruck der Weiss- und Rotweine aus. → Die trockenen und heissen Bedingungen verlangsamten die Akkumulation der Zucker in den Traubenbeeren. Die Stürme im Sommer hatten auch eine gewisse Verdünnung zur Folge, und der Gehalt an Säuren wurde beeinflusst. Sie sind eher niedrig. → Um die gute Frische zu bewahren, begann in der Region Graves die Ernte des Sauvignon Blanc in der letzten Augustwoche. Die Semillon- und dann die frühen Merlottrauben folgten Anfang September. Die Ernte der ersten Cabernets Francs und Sauvignons begann Mitte September und war Anfang Oktober abgeschlossen.
Die Herausforderung von 2020 war die Ausgewogenheit 2020 waren die Beeren klein und die Schale dick. Dies führte zu einer überdurchschnittlichen Gerbstoffbelastung, während die Säuregehalte niedriger waren als üblich.
Bei den Extraktionen musste man vorsichtig vorgehen, um die Kraft der Tannine zu erhalten. Viele Weine dieses Jahrgangs haben Alkoholwerte unter 14%, oft zwischen 13 und 13,5%... und das ist eine sehr gute Nachricht! Saint-Estèphe geht voran Es ist kein Geheimnis, dass der Cabernet Sauvignon, wenn er grossartig ausfällt, schwer zu entthronen ist. Und genau das scheint nach mehr als 1000 verkosteten Proben der Fall zu sein. Die Homogenität der Weine von Saint-Estèphe ist brillant und das Niveau der präsentierten Weine erfreulich.
Pauillac und Saint-Julien folgen dichtauf, anschliessend Margaux. Die Weine der Regionen Listrac und Moulis sind ebenfalls konzentrierter als üblich und haben ein gutes Alterungspotenzial.
In Saint-Emilion liefern die lehmig-kalkigen Terroirs Weine mit guter Wechselseitigkeit von Spannung und Kraft. Die sehr hohe Qualität der Merlots hat einige Weingüter veranlasst, ihren Anteil der Merlots im Verhältnis zum Cabernet Franc zu erhöhen. Die perfekte phenolische Reife und die Kalksteinböden sorgten für willkommene Frische. Das gleiche Szenario findet sich bei den Weinen aus Fronsac, die stark von ihren Kalksteinböden profitierten.
Die Regionen Pessac-Léognan und Pomerol sind ebenfalls gut im Rennen. Pessac liefert eine Fülle hervorragender Rot- und Weissweine, die weniger körperreich und vom Holz geprägt sind als in der Vergangenheit. Offenbar versteht man es dort, auf die Wünsche des Marktes zu reagieren!
In Pomerol erinnert man gerne daran, dass 2020 ein Merlot-Jahr ist, und die grosse Qualität der Weine dieser Region bestätigt dies glanzvoll.
Pomerol, Saint-Emilion und Saint-Estèphe bilden das brillante Spitzentrio des Jahrgangs 2020, doch dicht gefolgt von Pessac-Léognan und Saint-Julien. Diese klassischen Regionen haben seit je entscheidend zu Ruhm des Bordelais beigetragen. Und klassisch ist das treffende Wort, denn wenn man Vergleiche mit 2018 und 2019 anstellen will, ist 2020 tatsächlich der klassischste dieser drei Jahrgänge, mit viel Kraft, Frische und Finesse: ein typischer Bordeaux also!